Burnout-Diary 1 & 2

TW: Burnout/Depression

2020 hatte ich mein erstes Burnout. Mit 27. Ich kam mir so lächerlich vor. Ich muss noch so viele Jahre arbeiten und bin jetzt schon ausgebrannt? Ich bin doch noch jung, ich wollte mich nicht so anstellen. Ich fühlte mich, als würde ich mich nur anstellen. Aber fast zehn Jahre mit immer mindestens zwei Jobs, den berlin-typischen „Projekten“ sind auf Dauer offenbar doch nicht so easy händelbar. In den Jahren vor dem Burnout bestand mein Sozialleben nur noch aus Freund:innen mit denen ich an diesen oder deren Projekten arbeitete, oder ich sah sie auf Konzerten. Alle weiteren sozialen Kontakte habe ich gestrichen, denn ich wollte doch arbeiten. Ich musste doch arbeiten – und manchmal wollte ich einfach nur schlafen. Denn meistens war Schlaf genauso etwas wie die sozialen Kontakte: Ich strich alles und beschränkte es auf das Nötigste. 

Ich wechselte häufig meine Jobs. Entweder war ich gelangweilt oder frustriert. Während meine Freund*innen anerkennend meinten „Vanessa, du schaffst irgendwie immer alles.“ und „Irgendwie bist du immer produktiv. Ich weiß gar nicht wie du das machst.” fühlte ich mich so, als würde ich nicht genug machen und faul sein. Als würde ich den anderen nur was vorspielen. Doch ich merkte, wie es mir immer schlechter ging. Ich konnte mich nur noch schwer konzentrieren und vergaß alles. Sogar wo ich den Zettel hingelegt habe, auf dem ich mir alles aufgeschrieben hatte. Ich rannte zu Ärzt:innen, ließ mir Blutabnehmen, ging zum Kardiologen, war beim Neurologen, hatte ein MRT und alles war in Ordnung. Aber ich war es eben nicht. 

Es passierten gute Dinge. Vollkommen egal. Es passierten schlechte Dinge. Egal, das macht jetzt auch nichts schlimmer. Ich war einfach leer. Es war einfach alles egal. Dann kam die Pandemie, eine pandemie-bedingte Kündigung und der Lockdown. Also saß ich da. Rausgeschmissen aus meinem Hamsterrad und lag wie eine Schildkröte auf dem Rücken, die nichts mit sich anzufangen wusste. Mein altbekannter Weg mich von negativen Gefühlen mit Arbeit abzulenken, ging nicht mehr. Von meinem empfundenen Stress habe ich mich mit mehr Arbeit abgelenkt. Naja. Genau das hat mich hierhin gebracht. Meine Hausärztin hat schon vorher die Diagnose Burnout gestellt, mir eine Überweisung ausgestellt und einer befreundeten Therapeutin eine SMS geschrieben, damit ich schnell einen Termin zum Erstgespräch bekomme. Ich lieb sie bis heute dafür. Die Hauptaufgabe meiner Therapeutin war mir erstmal klar zu machen, dass ich nicht die einzige 27-jährige bin, die ein Burnout hat und dass ich aus dem Gedankengang des “Müssens“ rauskommen muss. Ich stelle mich nicht an. Also schlief ich. Ich schlief 14 Stunden täglich. Monatelang. 

Im Laufe der Therapie erfuhr ich, dass viele meiner Symptome mich schon seit Jahren warnen wollten. Minutenlanger Tinnitus, Augenflimmern, Migräne, Sehnenscheidenentzündungen und Nackenschmerzen sind nicht normal. Das waren alles Alarmglocken. Für mich war es alltäglich. 

Irgendwann sollte ich Dinge machen, die mir Spaß bereiten. Aber ich wusste nicht was. Alles was mir Spaß machte, war für mich mit Jobs verbunden. Fotografie, Illustrationen, Grafikdesign – alles meine Leidenschaften, aber eben auch Jobs. Musik hören? Ging nicht, das war auch Teil meiner Redaktionsjobs oder Interviewvorbereitungen. Ich konnte den Inhalt der Songs nicht mehr erfassen und war überfordert von den Tönen. Dabei liebe ich Musik, es gibt nichts was mich durch mehr schlechte Phasen begleitet hatte als Musik und plötzlich ertrage ich es nicht mehr?! Auch lesen ging für ein paar Wochen nicht. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich las eine Seite fünfmal, gab dann auf und legte mich wieder hin. Schlafen, das ging. Außerdem waren wir mitten im ersten Lockdown. Ich konnte nicht raus, um in einer Bar mit Freunden zu sein, den ganzen Tag in einem Café in der Sonne sitzen oder irgendwelche andere Sachen suchen, die mir Spaß machen und gut tun. 

Niemand in meinem Umfeld hat meine Diagnose verwundert. Alle hatten mich Ewigkeiten davor gewarnt. Trotzdem haben sie es hinbekommen, mich in meinen Katastrophen-Gedankengängen ernst zu nehmen, ohne mich zu bemitleiden. Das tat ich selbst schon genug. Mitleid von außen hätte ich nicht mehr ertragen. Der erste Tag, an dem ich mich wieder konzentriert für ein paar Stunden arbeiten konnte, war super und die Tage danach wieder super schlimm. Ich war einfach schnell überfordert und musste mehr auf meine Pausen achten, als ein Stundenplan in der Schule. Es war dann wieder lange alles egal. Oder es kam zu einer Panikattacke. Manchmal auch mehrere. Kurz war nicht mehr alles egal, sondern alles schlimm. Also hey, ich kann doch noch was fühlen. Doch irgendwie ging es. Irgendwann wurde es besser und ich erkenne mittlerweile die Warnzeichen etwas besser. Ich kann wieder normal arbeiten, auch stressige Phasen und 14-Stunden-Tage sind wieder machbar, nur eben nicht mehr monatelang ohne freien Tag. Ich liebe meine Jobs, oder mache zumindest alle gerne. Ich brauche freie Tage ohne schlechtes Gewissen. Ich muss mich daran erinnern, dass ich auch produktiv bin, wenn ich nicht komplett im Stress versinke. Ich muss mir bewusst machen, dass ich Pausen und freie Tage brauche und es nichts ist, was ich mir mit Überarbeitung verdienen muss. Meine Freund*innen sind hellhöriger, wenn ich wieder damit anfange, mich schlecht zu fühlen, weil ich mal einen oder zwei Tage nichts geschafft habe. Doch ich bin es auch. Ich bin aufmerksam, wenn Freund*innen mir häufig erzählen, wie wenig sie schlafen, oder wenn sie von einem Termin zum nächsten Rennen, wenn sie ständig davon sprechen, etwas zu „müssen“. Es dauert wirklich Jahre, sich von einem Burnout zu erholen, das zweite Burnout sei offenbar schlimmer als das Erste und schon das wünsche ich niemandem. Ich könnte hier noch ewig weiterschreiben, aber das reicht fürs Erste. Passt auf euch auf, ihr müsst weniger als ihr denkt. 


2023:

Meine Burnout-Diagnose liegt mittlerweile fast drei Jahre zurück. Die Therapie, die ich seitdem mache, hat mir durch die schlimmste Zeit geholfen und hilft mir heute noch sehr. 

Doch immer wieder habe ich Rückfälle. Rückfälle der Arbeitssucht, die mich ausbrennen ließ, bis nichts mehr ging außer Lethargie. Die Arbeitssucht, die so viele Jahre eine Konstante in meinem Leben ist. Die Arbeitssucht, die mir Sicherheit gibt, wenn sich alles andere unsicher anfühlt. Das Problem ist, diese Rückfälle kommen nicht von heute auf morgen, sondern schleichend. Es fühlt sich anfangs gut an, denn ich schaffe viel und ich habe Erfolgserlebnisse. Das meiste von dem macht mir Spaß. Ich will all das machen. Manches muss ich machen, wenn die Existenzangst überhand nimmt. Alles in allem liebe ich die Abwechslung meiner Jobs und den kreativen Spielraum, den ich habe. In der Therapie habe ich gelernt, der Körper kann nicht zwischen positivem und negativem Stress unterscheiden. Wenn man konstant unter Strom steht, dann brennt man aus. Während ich also bei meiner Therapeutin sitze und ihr sage „Die kommenden drei Wochen ist viel los, aber das ist dann wieder vorbei.“ vergehen Wochen, manchmal sogar ein Monat. Sie versteht das. Es gibt mal stressige und mal entspannte Phasen. Soweit so gesund. Doch aus den drei Wochen werden manchmal drei Monate, in denen sie mich immer wieder darauf aufmerksam macht „Die Phase dauert jetzt länger, als sie behauptet haben. Warum?“ und ich liefere ihr Erklärungen. Bis zu dem einen Tag, an dem sie mich unterbricht und mit mir über Sucht spricht. Sie weiß, dass ich mich in der Theorie viel mit dem Thema beschäftige, deshalb baut sie auf diesem Wissen auf. All meine Rechtfertigungen, warum ich so lange so viel arbeiten „muss“ und vieles andere deshalb auf der Strecke bleibt, sind die Ausreden eines Süchtigen. Doch so lange ich konstant arbeite, vermeide ich Gefühle und versuche manchmal, eine depressive Episode zu umgehen. Auch wenn ich weiß, dass ich es so nur hinauszögere und schlimmer mache. Denn lange Zeit schaffe ich meine Arbeit gut und problemlos, nur alles andere bleibt irgendwann auf der Strecke. Das Aushalten des Gefühls wäre schneller vorbei als die Workaholic-Phase. Gleichzeitig will ich die guten, produktiven Phasen auskosten, so gut es geht, denn ich weiß, wie schlecht es sich anfühlte, als nichts von all dem ging. 

Ich glaube, ich bin in den letzten zwei Jahren jeweils einmal pro Jahr in die Nähe eines zweiten Burnouts gekommen und habe die Warnzeichen wie Tinnitus, Migräne und die Emotionslosigkeit gekonnt ignoriert. Aber das ist okay. Heilung ist nicht linear, sondern passiert in Wellen. Wie soll ich einen 30 Jahren erlernten Skill innerhalb von drei Jahren verlernen? Ich weiß, was gute Routinen sind und halte sie oft ein. Ich mache mir weniger Vorwürfe und ich feiere meine kleinen Erfolge auch mal etwas, anstatt einfach weiterzumachen. Das merken auch die Menschen in meinem Umfeld. Sie meinen, ich wirke viel ruhiger und strahle etwas Positives aus. Ich lerne auch zu kommunizieren, wenn ich mich nicht gut fühle. Ich achte darauf, genug zu schlafen. Außerdem schaffe ich es immer besser, ruhige Tage auszuhalten und mir bewusst zu nehmen. 

Der Burnout-Heilungsprozess ist nichts, was innerhalb von ein paar Wochen oder Monaten passiert. Es dauert Jahre. Allein dieses Wissen nimmt den Druck aus der ganzen Sachen. Passt auf euch auf, ihr müsst weniger als ihr denkt.

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